Art. Nummer Autor Datum
245  Hayrî Demir 27.11.2011

 

 

NAME

Der Begriff „Merwanî“ (dt. Märwanii) ist die Bezeichnung für die Angehörigen des gleichnamigen Stammes der Merwana (dt. Märwana).

SIEDLUNGSGEBIET

Das Hauptsiedlungsgebiet der Merwanîs liegt Nordkurdistan, hier in Riha (dt. Rriha, türk. Urfa) und vor allem in Wêranşar (dt. Wäreansharr, türk. Viranşehir).

Einige Merwanîs siedelten bzw. siedeln auch im Norden Syriens, südlich von Wêranşar.
Einige Dörfer, die die Merwanîs bewohnten bzw. bewohnen sind folgende:

1. Çarçana
2. Başko
3. Bicanik
4. Zewra
5. Fisteqê
6. Heyzê
Bis auf sehr wenige Kleinfamilien sind fast alle Merwanîs nach Deutschland emigriert. Die verbliebenen Familien können sich aufgrund ihres finanziellen Einflusses gegenüber dem Rest der Bevölkerung Schutz erkaufen. Der Gemeindevorsteher des Landkreises Viranşehir äußert sich hierzu folgend:

„Wir Yeziden, die hier leben, können uns hier aufhalten, weil wir moslemischen Stämmen Erpressungsgelder geben. Dies gilt für alle Yeziden, die in Viransehir leben.“

STAMMESKLASSIFIZIERUNG

Die Merwanîs gehören gleichzeitig mehreren bestehenden und einer ehemaligen Konföderation an. Die größte noch bestehende Konföderation ist die Şerqîyan-Allianz (dt. Shärqiiyan; kurz Şerqî). Diese Großallianz hat sich im Laufe der Geschichte zu mehreren kleineren Stämmen und Konföderationen unterteilt.

Eine der Konföderationen, die aus der Şerqîyan-Allianz hervorgegangen ist, sind die Berîvanîs (kurd. Berîvan für dt. „Sommerweide“), zu denen die Merwanîs gehören.

Die Şerqîyan gehörten historisch zur strategischen Konföderation der Milan (kurd. Mil für Schulter), sinngemäß „Schulterschluss“, als Beschreibung der eingegangenen solidarischen Konföderation von Êzîden, Muslimen und  Christen sowie von Kurden und Nicht-Kurden aus der heutigen Region Riha (türk. Urfa). Die Milan verteidigten sich gemeinsam gegen die versuchte Invasion der türkisch, arabischen Machtherren.
Somit ergibt sich für die Merwanîs folgende Stammesklassifizierung:
1. Şerqîyan

1.1 Bêrîvanîs

1.1.1 Merwanîs
Aufgrund der Deportations- und Diskriminierungspolitik im Osmanischen Reich und anschließend in der Türkischen Republik leben bis heute einige Şerqîyan-Angehörige in Syrien (darunter auch Merwanîs), in Armenien und in der heutigen Autonomen Region Kurdistan.

Zu den Şerqîyan gehören die folgenden Stämme:

1. Merwanîs
2. Bilikîs
3. Adîs
4. Qopanîs
5. Torinî
6. Şengalî
7. Sahanî

 

Auflösung des Remoşî-Stamms in den Merwanî Stamm

Eine Besonderheit bildet der Stamm der Remoşî, der in den Stamm der Merwanî überging. Zwar bezeichnen sich heute unter den Merwanî noch einige wenige als Remoşî, dennoch werden sie heute generell als Merwanîs bezeichnet. Anders als die Merwanîs gehörten die Remoşîs jedoch nicht den Şerqîyan an, sondern dem Großstamm der Hesinî.

Die Remoşîs stammen ursprünglich aus dem Dorf Zoe, das in der kurdischen Provinz Qers liegt. Somit gehören die Remoşîs zu den Serhed Êzîden, zu denen einst eine Vielzahl größerer Stämme gehörte. Unter anderem die Kelika Êzîden, die heute zu den Torîs gezählt werden (Mihokîs, Kîwexîs, Efşîs und Bahnimmîs).

Die Remoşîs sind wie die Kelika Êzîden vor Verfolgungen in den Süden der heutigen Türkei geflüchtet. Weshalb sie sich geraden in den Stamm der Merwana integriert haben bzw. integriert worden sind, ist ungewiss. Auch der genaue Zeitraum ist nicht bekannt. Eine gewisse Bewahrung der Identität als Remoşî hat sich jedoch bis heute bewahrt, was auf eine späte Integration hinweist.

Ein bedeutendes Oberhaupt der Remoşî war Ûsivê Xudo, der sowohl unter den muslimischen Kurden als auch bei den Armeniern, Türken und Russen als einflussreiche Persönlichkeit galt.

GESCHICHTE

Bekannt geworden sind die Merwanîs  unter der Konföderation der Şerqîyan, als der legendäre êzîdisch-kurdische Held Derwêşê Evdî (dt. Därrweeshee Äwdii)  gegen Ende des 18. Jahrhunderts sich der versuchte Okkupation der türkischen und arabischen Invasoren erfolgreich widersetzte.
Die Şerqîyan gehörten zu jenen Stämmen, die Derwêşê Evdî als Kämpfer zur Seite standen. Die Şerqîyan werden auch in einem von vielen Volksliedern über die Heldentat Derwêşê Evdîs genannt.
Erstmals wurden die Şerqîs im Jahr 1270 als Mirîden (dt. Mirriiden) von den Hütern der Heiligenstätte des Pîr Xetab erwähnt.

 

ZUGEHÖRIGE ŞÊX- UND PÎRGRUPPE

Die Şêx-Gruppe (dt. „Sheikh-Gruppe“) der Şêxê Şêşims (dt. die Sheikhe der Sheshims) sind den Merwanîs zugeordnet. Die zugehörige Pîr-Gruppe sind die Pîre Pîr Afat.

 

Quelle

Kemal Tolan, „Hebûn û Tunebûna Êzidiyan – Tev Romanên Zindînê“, ISBN 978-3-940997-31-9
Stellungnahme zur Situation der Yeziden in der Türkei Stand: Juni 2006, http://yeziden.de/fileadmin/yeziden/pdf/Yeziden_T_rkei.pdf
Dengê Êzîdîyan Oldenburg, „Yezidische Helden – Mêrxasên Êzîdîyan“, ISBN 978-3-9810751-4-5